Schon beim Lesen der Überschrift werden viele ältere Stiepeler an die überlieferten Geschichten um den ehemaligen Stiepeler Gemeindevorsteher Sondermann denken, dem wir es zu verdanken haben sollen, dass die Stiepeler Hauptstraße so einen krummen Verlauf hat. Sondermann, der von 1876 bis 1881 und erneut von 1888 bis 1894 Gemeindevorsteher war, hatte eine Brennerei und belieferte fast sämtliche Wirte in Stiepel mit Spirituosen. Daher war klar, dass die auszubauende Stiepeler Hauptverbindungsstraße an möglichst vielen Wirtschaften vorbeiführen musste!
Denn das war gut für’s Geschäft … (in Anlehnung an „Aus der Stiepeler Ortsmappe, Geschichten aus dem Königreich“ von Wilhelm Dickten). Auf diese Überlieferung gehen wir noch näher ein, doch zunächst ein Blick in die Anfänge der Planung und des Ausbaus. Soviel sei schon verraten: diese Phase hat rund 20 Jahre gedauert.
Planung und Bau der „Chaussee von Zeche Carl Friedrich bis Steinenhaus“
Die Funktion als Verbindungsstraße von Haus Kemnade über Stiepel Dorf und Haar nach Weitmar war bei der heutigen Kemnader Straße schon vor dem 19. Jahrhundert gegeben. Die erste Karte, auf der in etwa der Verlauf der heutigen Kemnader Straße durchgehend von der Ruhr über Stiepel Dorf bis nach Weitmar eingezeichnet ist, ist die sog. Preußische Gemeindekarte von 1824. Wenn man hier von „Straße“ spricht, ruft das vielleicht die falschen Vorstellungen hervor. Es war eher ein Feldweg, eine naturbelassene, unbefestigte Straße, die eine gewisse Übereinstimmung mit dem Verlauf der heutigen Kemnader Straße aufweist. Doch genau darum geht es in diesem Beitrag: wie und wann ist die Kemnader Straße in ihrer heutigen Form erstellt worden und welche historisch interessanten Aspekte gibt es über ihren Ausbau?
Die erste Erwähnung von Planungen findet sich in einem Schreiben des Landratamtes vom 2. Oktober 1872 an den „Herrn Sondermann und Genossen in Stiepel“. Dort heißt es u.a.: “ … einer die Gemeinde Stiepel durchschneidenden Chaussee … . Ueber die derselben zu gebende Richtung ergeben sich weitere Verhandlungen als nothwendig, welche bisher nicht stattgefunden haben, nunmehr aber aufgenommen worden sind …“
Ein entscheidender Termin zur „Besprechung des Projects eines Chausseebaus von Steinenhaus über Stiepel und Wiemelhausen nach Bochum mit einer Abzweigung über Weitmar, Eppendorf und Höntrop“ fand Ende September 1873 statt, vorher mussten die beteiligten Gemeinden noch „Deputierte“ wählen und entsenden. Für Stiepel wird in der Gemeindeversammlung vom 22. September 1873 zum einzigen Tagesordnungspunkt „Wahl der Deputierten zur Besprechung eines Projektes des Chausseebaus“ protokolliert: „… nach vorgängiger Berathung, wurden als Deputierter 1. der Ortsvorsteher Hautkapp und 2. der Gemeindeverordnete Heinrich Sondermann mit Majorität gewählt.“
In dem oben genannten Termin Ende September 1873 wurde der Beschluss gefasst, die Vorarbeiten für den Ausbau der Chaussee zu beauftragen. Daraufhin wurde für den 9. Oktober 1873 durch „Kreisbauinspector Haarmann“ eine Bereisung der geplanten Strecke organisiert und protokolliert. Insgesamt 18 Personen, darunter insbesondere die beteiligten Gemeinde- und Amtsvorsteher, prüften schließlich mögliche Streckenführungen vor Ort. Im Protokoll heißt es: „In Ausführung eines […] in Bochum seitens verschiedener Gemeinde-Vertretungen und Interessenten gefaßten Beschlusses die Vorarbeiten für eine Chaussee von Bochum über Stiepel nach Steinenhaus mit Abzweigung nach Bahnhof Weitmar, Eppendorf und Höntrop anfertigen zu lassen, hatte Unterzeichneter zur Bereisung der Strecke von Bochum nach Stiepel resp. Steinenhaus auf heute Termin angesetzt, zu welchem die nachstehend Bezeichneten eingeladen und erschienen waren. Die Bereisung nahm ihren Anfang in Bochum, und fand sich innerhalb des Stadtbezirks Nichts Erhebliches über die Trassierung zu bemerken. Es wurde nur festgesetzt, daß die Straße am Eisenbahn-Uebergang der Wiemelhauser Straße beginnen soll und die vorhandenen Krümmungen der alten Straße in der Hauptsache abgeschnitten werden sollen. Letzteres wurde auch für die Fortsetzung bis Dorf Wiemelhausen angemessen erachtet. […] Von Zeche Carl Friedrich wurde die Straße in Gemeinschaft der Vertretung von Stiepel so wie verschiedener Interessenten in der Richtung auf Steinenhaus weiter begangen und allseitig die Beibehaltung des alten Weges, unter Abschneidung einiger Krümmungen […] zweckmäßig befunden.“
Am 12. April 1875 wird es dann konkret. Der Amtmann des Amtes Blankenstein lädt zu einer wichtigen Sitzung: „Zur Beschlußnahme über den chausseemäßigen Ausbau einer Straße von Steinenhaus über Stiepel, Wiemelhausen nach Bochum mit einer Abzweigung über Weitmar nach Eppendorf und Höntrop ist Termin auf Montag den 26. April
Nachmittags 3 Uhr in dem Velten’schen Gasthofe zu Bochum anberaumt, wozu ich die Gemeindevertretungen im Auftrage des Herrn Landraths hierdurch einlade.“
Bei diesem Treffen waren 45 Personen anwesend. Neben den Vertretern der beteiligten Ämter und Gemeinden waren dies die Direktoren der in den Gemeinden liegenden Zechen, der „Rittergutsbes. v. Berswordt Wallrabe zu Haus Weitmar“ sowie der „Gutspächter Rhode für das Rittergut Haus Kemnade“. Das Protokoll fasste das wesentliche Resultat zusammen: „Sämtliche Gemeinde-Vertretungen mit Ausnahme derjenigen von Buchholz u. Höntrop […] beschließen einstimmig, die Kosten des Chausseebaus nach dem vorliegenden Kosten-Anschlage aufzubringen und den Bau gemeindeweise auszuführen. […] Wegen der künftigen chausseemäßigen Unterhaltung beschließen die betheiligten Gemeinde-Vertretungen sich unter Abfassung von Statuten zu einem gemeinschaftlichen Verbunde zu vereinigen. […] Die erschienenen Vertreter der interessierten Zechen stellten mit Ausnahme des Vertreters der Zeche Carl Friedrich die Entrichtung außerordentlicher Leistungen in Aussicht“. In der folgenden Zeit wurde offensichtlich die Detailplanung angepasst, sodass sich bis zum Jahr 1877 eine projektierte Gesamtlänge der Strecke von 13.807 m ergab. Die kalkulierten Kosten lagen bei 225.000 Mark, was 75.000 Talern entsprach. Die einzelnen Gemeinden sollten jeweils den Anteil für die in ihrem Gemeindegebiet liegende Strecke tragen. Am 29. Januar 1877 wurde die Aufteilung unter den vier beteiligten Gemeinden und der Stadt Bochum festgelegt. Eppendorf und Höntrop hatten sich zwischenzeitlich wahrscheinlich aus Kostengründen aus dem Projekt zurückgezogen
Mit Bezug auf die eingangs erwähnten Geschichten rund um den Gemeindevorsteher Sondermann können wir bereits an dieser Stelle eine erste Erkenntnis ziehen: der Ausbau der Chaussee von Steinenhaus nach Weitmar war keine reine Stiepeler „Erfindung“, er wurde Landkreis-übergreifend als Ausbau einer Nord-Süd-Verbindung angeordnet. Die übrigen beteiligten Gemeinden wurden bereits im vorigen Abschnitt genannt, jedoch war mit einer Länge von rund 6,0 km der Stiepeler Anteil der weitaus größte an der gesamten ursprünglich geplanten Strecke von 13,8 km.
Im Mai 1875 sind die Planungen soweit gediehen, dass für die Ausführung der Vorarbeiten erste Abschlagszahlungen anstehen, und zwar für den „Geometer Weißenfels“ und den „Königl. Bauinspector Haarmann“ jeweils 1.500 Mark. Zu dieser Summe haben die Gemeinden entsprechend des „… am 26. September 1873 gefassten Beschluß nach Maßgabe der Länge der Chaussee innerhalb eines jeden Gemeindebezirks beizutragen.“
Die ursprüngliche Planung war jedoch der Gemeinde Stiepel technisch zu aufwendig und viel zu teuer, schlicht ausgedrückt: eine Nummer zu groß. Beanstandet wurde insbesondere der geplante Ausbau vom Steinenhaus bis Stiepel Dorf. Dabei liest sich die ursprüngliche Planung recht wohlwollend: „Die projektierte Straße bezweckt zunächst die bisher vom Verkehr fast ganz abgeschlossene Gemeinde Stiepel demselben zu erschließen. sodann aber verbindet sie voraussichtlich die bereits fertig ausgebauten Wegstrecke von Zeche Carl Friedrich durch Weitmar nach Bochum … mit der Straßenkreuzung Steinenhaus, von wo … nach Elberfeld als auch nach Witten, Blankenstein und Hattingen Chausseen führen, sodaß der projektierte Wegebau auch für den durchgehenden Verkehr von der größten Wichtigkeit ist. Der in 1 ½ Kilometer Entfernung vom Dorfe Stiepel belegene Bahnhof Blankenstein, welcher bisher von Stiepel mangels jeder Verbindung überhaupt nicht erreicht werden konnte, wird durch diesen Wegebau mit Stiepel in direkte Verbindung gebracht. … Die Straße beginnt am Straßenkreuzungspunkt Steinenhaus, führt über Bahnhof Blankenstein bis an die Ruhr, welche mittels einer Schiffbrücke von 100 Meter Länge überschritten werden soll, von der an dem Gehöft des Hasenkamps vorbei und erreicht mit wenigen Biegungen die Hochebene, auf welcher das Dorf Stiepel liegt. Von hier geht die Straße unter Benutzung des vorhandenen öffentlichen Weges über den Bergrücken der Haar, bei der Schule daselbst vorbei nach Zeche Carl Friedrich, wo sie in den vorhandenen Communalweg nach Weitmar und Bochum einmündet“
Genau diese Planung brachte das gesamte Chaussee-Projekt im Jahr 1878 zunächst für knapp zehn Jahre zum Erliegen. Die genannte Brücke sollte mehr ein teures, großes und technisch aufwendiges Damm-Bauwerk werden, mit viel zu kleinen Durchlässen für die Schifffahrt. Nicht bedacht wurde auch, dass die adeligen Herren des Hauses Kemnade ein Fährrecht für sich reklamierten, was den Bau einer Brücke über Jahrhunderte verhinderte. Um diesen Aspekt kurz zu erläutern: Die erste Kemnader Brücke wurde im Jahr 1928 fertiggestellt, nachdem die Stadt Bochum im Jahr 1921 das Haus Kemnade erworben und sich die Frage des Fährrechts damit erledigt hatte. Die Straße endete bis 1928 unmittelbar an der Ruhr. Die Fortsetzung der Fahrt war nur mit einer Fähre möglich. Wahrscheinlich bis zum Jahr 1909 gab es dort außerdem eine Furt, die bei niedrigem Wasserstand von Fuhrwerken genutzt werden konnte.
Weil der Ausbau der Chaussee von übergeordnetem Interesse war, ordnete der Landrat im Oktober 1878 in einem Schreiben an den Amtmann von Blankenstein an: „ … sind die Verhandlungen wegen ordnungsmäßigen Ausbaues des Communalweges von Stiepel nach Bochum … wieder aufzunehmen … falls die Gemeindevertretung sich auf jetzt noch weigerlich verhält den Ausbau des erwähnten Communalweges vorzunehmen, derselbe im Zwangsverfahren zur Ausführung gebracht werden wird.“
Es dauerte bis zum Jahr 1887, eine überarbeitete Planung zu erstellen. Diese konzentrierte sich jetzt auf die Strecke von der Ortsgrenze Weitmar bis Stiepel Dorf, die Fortführung von Stiepel Dorf bis Steinenhaus wurde -verglichen mit der vorherigen Planung- nur mit dem Notwendigsten berücksichtigt. Mit Datum 16. Mai 1887 wird ein neuer „Kostenanschlag zur Erstellung einer Straße von Zeche Carl Friedrich durch das Dorf Stiepel nach dem Steinenhaus auf einer Länge von 6113,0 m Länge“ durch den Geometer Weißenfels vorgelegt. Diese Ausbauplanung wird zur Ausführung gebracht. Zum Verlauf der Straße heißt es in den Planungsunterlagen u.a.: „Die Richtung der neuen Straße ist so gewählt, daß die alten Wege möglichst beibehalten wurden, der voraussichtliche Grunderwerb beläufe sich, trotzdem im Nachstehenden einzeln nachgewiesenen opulenteren Ausstattung der Straße bezüglich der Breite der Banquets und Gräben sowie der Anlage der Böschungen auf noch nicht 300 Ar …“.
Am 9. Juli 1888 erfolgt durch den Amtmann des Amtes Blankenstein die folgende öffentliche Bekanntmachung: „Der Ausbau des Weges von Zeche Carl Friedrich durch das Dorf Stiepel über die Ruhr nach Steinenhaus bei Bahnhof Blankenstein ist nunmehr endgültig beschlossen worden und sollen die Arbeiten schleunigst in Angriff genommen werden. Zur Verhandlung über die Abtretung des zu dem Wege erforderlichen Grund und Bodens ist Termin auf Freitag, den 13. de. Mts., Nachmittags 21/2 Uhr, im Lokale des Wirths Wefelscheid zu Stiepel anberaumt, zu welchem Sie hierdurch ergebenst eingeladen werden.“
Die Gemeinde Stiepel musste zur Ausführung der Arbeiten rund 30.000 m² Grund und Boden erwerben. Zum einen war die Erstellung komplett neuer Teilstrecken notwendig, zum anderen wurde der vorhandene und zum Großteil genutzte „Communalweg“ verbreitert. Als neu erstellte Wegstrecke können insbesondere drei Teilstücke genannt werden:
– Erstens von der heutigen Kreuzung mit der Brockhauser Straße bis zur Kreuzung mit der Galgenfeldstraße / Am Brunen. Vorher stellte die heutige Düsterstraße die Verbindung in Richtung Norden dar. Für dieses Teilstück haben die Besitzer … entsprechende Flächen abgegeben. Mit dem Neubau wurde die Straße begradigt und auf einen Damm gelegt.
– Zweitens kam als vielleicht markantestes neues Teilstück die langgezogene Kurve bei Haus Frische hinzu. So unglaublich es klingt, man kann z.B. auf der Preußischen Gemeindekarte aus dem Jahr 1824 gut erkennen, dass vorher die heutige Steilstraße die Verlängerung der Wege aus Stiepel Dorf in Richtung Norden darstellte. Durch die Kurve wurde die erhebliche Steigung dieser Strecke herausgenommen.
– Drittens hatte die Straße im Bereich ab der heutigen Surkenstraße und Ministerstraße einen anderen, „geraderen“ Verlauf quer durch dasjenige Gelände zwischen Surken- und Kemnader Straße, das jetzt erschlossen werden soll. Mit dem Ausbau der Chaussee wurde der Straßenverlauf rechtwinklig gestaltet mit der 90°-Kurve an der heutigen Ministerstraße.
Darüber hinaus wurden Bereiche auf einen Damm bzw. in Einschnitte gelegt. Im bereits genannten „Kostenanschlag“
aus dem Jahr 1887 heißt es dazu: „Der höchste Auftrag erreicht die Höhe von 4,5 m, der tiefste Einschnitt eine Tiefe
von 3,6m.“
Weiterhin wurde zur Verbreiterung des vorhandenen Weges eine ebenfalls beachtliche Fläche benötigt. Um nochmal den Bezug auf die eingangs erwähnten Geschichten rund um den Gemeindevorsteher Sondermann herzustellen: wir können eine zweite Erkenntnis aus den Erläuterungen ziehen: der Verlauf der durch die Gemeinde führenden Hauptstraße wurde nicht grundlegend verändert, ganz im Gegenteil: soweit möglich, wurde der vorhandene Weg genutzt. Der Straßenverlauf wurde demnach nicht nach den Wirtschaften ausgerichtet. Der Gemeindevorsteher Sondermann war zwar aktiv (als „Deputierter“ für das „Projekt des Chausseebaus“) an den Planungen beteiligt, den Verlauf der Straße konnte er aber nicht grundlegend beeinflussen.
Fertiggestellt wurde die neue Straße im Jahre 1893. Sie endete aber bis 1928 unmittelbar an der Ruhr. Mit dem Bau der Kemnader Brücke wurde die bis dahin kurvenreiche Straßenführung auf den letzten Metern zur Ruhr verändert.
Zwei nennenswerte Veränderungen gab es noch in den 1950er / 1960er Jahren. Durch den anwachsenden Verkehr war eine enge Straßenführung zunehmend gefährlicher, so dass der Verlauf an zwei Stellen begradigt wurde. Leider mussten mehrere Fachwerkhäuser einer besseren Straßenführung weichen. Zunächst wurde ein Haus in etwa gegenüber der Einmündung Steilstraße abgerissen, viel schwerwiegender war aber die Begradigung in Stiepel Dorf an der Kreuzung mit Brockhauser und Oveneystraße. In einem Zeitungsbericht aus dem Jahr 1961 heißt es: „Hier wird Stiepel vom Verkehr gefährlich geplagt, denn die Kreuzung ist nicht nur eng, sondern zu allem noch hin- und hergewunden. Ein Wunder fast, daß es hier nicht täglich Unfälle gibt …“. Es müssen mehrere Häuser weichen, der ursprüngliche Dorfcharakter wird verändert.
Chausseegelderhebungsstellen
Im Jahr 1894 wurde auch in Stiepel etwas eingeführt, was zu jener Zeit durchaus üblich war: das Chausseegeld. Die Benutzung der heutigen Kemnader Straße wurde für den Waren- und Personenverkehr kostenpflichtig. Genau das, was heutzutage als Maut viel diskutiert wird, wurde durch Beschluss der Gemeindevertretung öffentlich ausgeschrieben. Die Ausschreibung wurde alle zwei bis drei Jahre wiederholt, die letzte bekannte Verpachtung erfolgte im März 1902. Es wurden zwei „Chausseegelderhebungsstellen“ (so die offizielle Bezeichnung) in zwei Wirtschaften, jeweils an beiden Enden der Straße, eingerichtet. An der Ortsgrenze nach Weitmar war dies die Wirtschaft von August Hellmich an der Ecke Krockhausstraße, unter dem späteren Wirt Wilhelm Haarmann war die Wirtschaft auch bekannt als „Schüttelrutsche“. Das Gebäude existiert nicht mehr, heute steht dort das Haus Kemnader Straße 42. In Stiepel-Dorf fungierte die Wirtschaft von Heinrich Haarmann-Thiemann als Chausseegelderhebungsstelle. Das mittlerweile abgerissene Fachwerkhaus an der Ecke Brockhauser Straße, unmittelbar an der heutigen Bushaltestelle „Stiepel Dorf“ war das Haus Kemnader Straße 472.
Die wesentlichen Passagen der zwei Verträge lauteten:
- „Die Gemeinde Stiepel verpachtet dem Wirth August Hellmich die ihr zustehende Berechtigung zur Erhebung des
Chausseegeldes auf der von Zeche Carl Friedrich nach Dorf Stiepel führenden Communal-Chaussee auf die Dauer von 1 Jahr, beginnend mit dem 1. März 1902 … Die jährlich zu zahlende Pachtsumme beträgt 1200 Mark …“ - „Die Gemeinde Stiepel verpachtet dem Wirth Heinr. Haarmann-Thiemann die ihr zustehende Berechtigung zur Erhebung des Chausseegeldes auf der von Stiepel-Dorf nach Steinenhaus führenden Communal-Chaussee auf die Dauer von 1 Jahr, beginnend mit dem 1. März 1902 … Die jährlich zu zahlende Pachtsumme beträgt 280 Mark …“
Die zu kassierenden Tarife waren durch ministeriellen Erlass vom 29. Februar 1840 geregelt. Das Chausseegeld wurde bis zum Jahr 1908 erhoben, im Zusammenhang mit dem Übergang der Chaussee auf den Kreis Hattingen wurde es wieder abgeschafft.
Sonstiges aus der Geschichte der Straße
Da die neue Chaussee nach Fertigstellung im Jahr 1893 als überörtliche Durchgangs- bzw. Verbindungsstraße anzusehen war, bestand sowohl auf Seiten der Gemeinde Stiepel als auch des Kreises Hattingen das Interesse, die Zuständigkeit und den Unterhalt auf den Kreis Hattingen zu übertragen. Hierzu hat der Kreistag des Kreises Hattingen am 18. Juli 1906 Folgendes vorgeschlagen:
„Der Kreis übernimmt die Unterhaltung derjenigen Chausseen und sonstigen, dem Durchgangsverkehr dienenden Wege, welche den … Anforderungen entsprechen und sodann … auf den Kreis übernommen sind, mit der Massgabe, dass seitens der beteiligten Gemeinden ein Zuschuss in Höhe der Hälfte der vom Kreise aufzuwendenden Unterhaltungskosten an diesen zu zahlen ist. … mit der Uebernahme der Chausseen und Wege auf den Kreis verzichten die in Betracht kommenden Gemeinden auf die Chausseegeld-Erhebung und verpflichten sich zur Lösung der Pachtverträge“
Bevor es zu der Übernahme kam, wurde die Chaussee besichtigt, anschließend wurde durch die „Kreiswegebau-Commission“ festgestellt:
„Eine neue Decke ist erforderlich von der Ruhr bis Frische und von der abgebrannten´Schule bis zur Grenze. Die Gräben und Banketts sind zu reinigen. Im Uebrigen hat der Weg hinlängliche Breite und ist gut ausgebaut.“
Die genannte (im Jahr 1904) abgebrannte Schule stand genau an der Stelle, an der im Jahr 1910 das neue Gemeindehaus an der Ecke Kosterstraße / Haarstraße errichtet wurde. Somit musste die Gemeinde Stiepel zunächst fast die komplette Straßendecke erneuern, und das bereits rund 15 Jahre nach Fertigstellung der Straße. Für die Strecke von Frische bis zur Ruhr wurden 1.400 cbm von „gutem Sandstein-Kleinschlag“ öffentlich ausgeschrieben. Ferner für die Strecke von der Grenze Weitmar bis zum Wasserbehälter an der Ecke Kosterstraße 1.200 cbm „Hochofenschlacken-Kleinschlag“.
Dieser damals übliche Straßenbelag hat der Bevölkerung durch Staubentwicklung bei Trockenheit arg zu schaffen gemacht. Erst im Jahr 1929 Jahren wurde ein Sprengwagen angeschafft, der die Straße bei Trockenheit benässte. Sogar ein Sonntagsfahrverbot wurde vorher diskutiert. Interessant ist ein Protestbrief aller Anwohner der heutigen Kemnader Straße an die Gemeindevertretung vom 8. April 1924, in dem diese sich über die unerträgliche Staubbelastung beschweren. Dort heißt es: „Im vorigen Jahr ist von der Sozialdemokratischen Fraktion … der Antrag gemacht worden die Beschaffung eines Schprengwagens welches aber leider abgelehnt worden ist, mit der Begründung wegen der hohen Kosten. Würden die Herren der Gemeindevertretung auch an der Hauptstraße wohnen und kein Zimmer lüften können bei diesem starken Autoverkehr, würden Sie diesen begründeten Antrag nicht abgelehnt haben. Wir Unterzeichneten der Hauptstraße stellen nunmehr noch einmal den Antrag aus Gesundheitsrücksicht an die Vertretung und bitten diesem doch jetzt statt zu geben“
Die Vergabe von Straßennamen in Stiepel wurde im November 1908 beschlossen, bis zur Umsetzung dauerte es dann noch ein Jahr. Die bis zu diesem Zeitpunkt immer als „Chaussee von Karl Friedrich nach Steinenhaus“ bezeichnete Straße erhielt die Namen „Hauptstraße“ für die Strecke von der Ortsgrenze Weitmar bis Haus Frische und von dort bis zur Ruhr den Namen „Ruhrstraße“. Im Zuge der Eingemeindung von Stiepel nach Bochum im Jahr 1929 musste die Straße umbenannt werden. Da ein Jahr vorher, im Juni 1928, die „Kemnader Brücke“ eingeweiht wurde und die Straße damit endlich ohne die Benutzung der Fähre über die Ruhr und an Haus Kemnade vorbei führte, liegt die Vermutung nahe, dass aus diesem Grund die Bezeichnung „Kemnader Straße“ gewählt wurde.
Dirk says
Herzlichen Dank für diese toll geschriebene Historie der Straße, an der ich einst gewohnt hatte. Wie sehr sich die Straße doch im Laufe der Zeit gewandelt hat. Sehr schade, dass das Haus der Chausseegeld-Erhebungsstelle II inzwischen abgerissen wurde.
Auf dem 1926er Luftbild des RVR sind einige der oben beschriebenen Details gut zu erkennen, u. a. die noch vorhandene leichte Verschwenkung im Bereich der Kreuzung Stiepel-Dorf. Besonders interessant auch das alte Ende der Kemnader Str. an der Ruhr und die zu jener Zeit offenbar im Bau befindliche Kemnader Brücke. Zu finden hier: https://luftbilder.geoportal.ruhr/ (Falls eine Verlinkung nicht erwünscht ist, bitte wieder löschen).