Im November 2012 hat die Bezirksvertretung Süd beschlossen, die neue Erschließungsstraße zwischen Kemnader- und Surkenstraße zur Erinnerung an den ersten niedergelassenen Stiepeler Arzt „Dr.-Gilbert-Weg“ zu nennen, im September 2014 wurde das neue Straßenschild durch den Bezirksbürgermeister offiziell enthüllt.
Aus heutiger Sicht mag das nicht als etwas Besonderes erscheinen, einen Arzt im Stadtteil zu haben. Stiepel zählt heute rund 12.000 Einwohner, mit einer guten Versorgung an Ärzten und Zahnärzten. Bis zum Beginn des letzten Jahrhunderts sah das allerdings anders aus. Bis 1919, Stiepel hatte zu dieser Zeit immerhin schon rund 6.500 Einwohner, gab es nicht einen einzigen Arzt vor Ort. Versorgt wurden die Stiepeler Bürger von Ärzten aus Blankenstein, Weitmar und Wiemelhausen. Für die war es nicht immer leicht, zu ihren Patienten nach Stiepel zu kommen, insbesondere nicht für den zu jener Zeit aus Blankenstein kommenden, von der Gemeindevertretung gewählten Armenarzt. Die Kemnader Brücke wurde erst im Juni 1928 eingeweiht, so dass der Arzt sich mit der Fähre Diergardt über die Ruhr setzen lassen musste, bei Hochwasser musste der Umweg über Welper und die Kosterbrücke genommen werden. Was das für Notfälle bedeutete, kann man sich leicht vorstellen.
Die Sprechstunden durch die angereisten Ärzte wurden überwiegend in den Räumlichkeiten der Wirtschaft „Frische“ abgehalten, es wurden aber auch weitere Wirtschaften beansprucht. Nach langjährigen Verhandlungen mit dem Allgemeinen Knappschaftsverein in Bochum wurde dieser Notstand in der ärztlichen Versorgung anerkannt. In der Stiepeler Schulchronik des Jahres 1919 ist zu lesen: „ … Soll aber ein in Stiepel wohnender Arzt existenzfähig sein, so ist es nötig, daß er auch die hier wohnenden Bergleute, deren Zahl sich auf etwa eintausendvierhundert beläuft, zu behandeln hat. Endlich … sollten die Wünsche der Stiepeler Gemeindeeingesessenen in Erfüllung gehen … in dem Herrn Dr. Gilbert, der sich am 1. Dezember 1919 in Stiepel als praktischer Arzt niedergelassen hat, die Verwaltung des hiesigen Knappschaftssprengels übertragen wurde.“
Hans Frithjof Gerhard Gilbert, am 21. Januar 1886 in Gaarden bei Kiel geboren, studierte ab März 1907 zunächst an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin (heute Humboldt-Universität), später dann an der Kaiser-Wilhelms-Akademie in Berlin, die ihren Schwerpunkt in der militärärztlichen und -chirurgischen Ausbildung hatte und der er bis zum 1. März 1912 angehörte. Im Anschluss daran wurde er zum Unterarzt beim Oldenburgischen Infanterie-Regiment 91 ernannt und zunächst ein Jahr lang an der Berliner Charité eingesetzt. Im August 1913 erhielt er dort seine Approbation und wurde anschließend als Assistenzarzt, später Oberarzt, in sein Regiment berufen. Seine Dienstzeit umfasste auch den 1. Weltkrieg. Wann genau er nach Stiepel kam, ist nicht bekannt. Es ist aber überliefert, dass er aufgrund enger Kontakte innerhalb einer Burschenschaft zu einem Bochumer Arzt, Herrn Dr. Carl Brüggemann, den Weg in unsere Region fand. Im Jahr 1916 hat er sich verlobt mit Cornelia zur Oven Krockhaus. Deren Vater war der Ingenieur Friedrich zur Oven Krockhaus, Eigentümer des Krockhaus-Hofes an der gleichnamigen Straße und in den Jahren 1895 – 1919 Gemeindevorsteher in Stiepel. Gerhard Gilbert und Cornelia zur Oven Krockhaus heirateten am 15. Mai 1918 und wohnten zunächst im (schwieger-) elterlichen Haus, dem immer noch als Krockhaus-Villa bekannten Gebäude. Heute ist dies Krockhausstraße 7, seinerzeit Hertastraße 1.
Seinen Doktortitel hat Gerhard Gilbert von der damaligen Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin im März 1919 verliehen bekommen [die Dissertation trug den Titel „Zur Prognose der Chromatophorome (Melanosarkome)].
Am 1. Dezember 1919 ließ sich Dr. Gilbert, wie oben bereits aus der Schulchronik zitiert, als praktischer Arzt in Stiepel nieder. Seine Sprechstunden hielt er anfangs in der ehemaligen Schule an der Ecke Kemnader-/Krockhausstraße, aber auch in Gaststätten ab, und zwar wechselweise in „Haus Frische“ und bei „Westermann“. Später praktizierte er im Hause Gräfin-Imma-Straße 12 (heutige Anschrift). An dieser Stelle stand die „Schankwirtschaft zur steilen Höh“. Das ursprüngliche Haus ist im Juni 1912 abgebrannt und wurde während des 1. Weltkriegs in der noch heute bestehenden Form neu errichtet. Die Räumlichkeiten dienten Dr. Gilbert dann als erste feste Praxisräume in Stiepel.
Im Januar 1920 wurde er durch die Stiepeler Gemeindevertretung in den nach dem 1. Weltkrieg neu gegründeten „Wohlfahrtsausschuß“ gewählt, ab April 1920 stellte ihn die Gemeinde Stiepel auch als Schularzt an, wobei er für jedes untersuchte Kind zwei Mark Honorar bekam. Er war bis 1956 als Knappschaftsarzt im Dienst, danach zog er in sein neben der bisherigen Praxis neu errichtetes Haus (heutige Anschrift: Gräfin-Imma-Straße 10) und praktizierte dort noch einige Jahre weiter. Seine Nachfolge als Knappschaftsarzt trat Dr. med. Hans Rath an.
Überliefert sind die unermüdliche Einsatzbereitschaft und sein humorvolles Wesen, weswegen die Stiepeler „ihren“ Doktor so liebten. Gerhard Gilbert verstarb am 3.3.1971 in Stiepel.
Schreibe einen Kommentar