1. Elektrizitätswerk Westfalen Aktiengesellschaft
Der Beginn der Elektrizitätsversorgung in Stiepel ist verbunden mit der „Elektricitätswerk Westfalen Aktiengesellschaft zu Bochum“ (und nicht mit den heutigen Stadtwerken Bochum: die Gemeinde Stiepel gehörte bis 1929 zum Amt Blankenstein / Kreis Hattingen). Im Zuge der Industrialisierung um die vorletzte Jahrhundertwende entwickelten einige Städte, Gemeinden und Kreise im Gebiet um das heutige Bochum unter der Federführung des damaligen Bochumer Landrats Karl Gerstein das Konzept eines Stromverteilungsunternehmens, das zunächst keine eigenen Kraftwerke besaß. Die großen Bergwerksgesellschaften, zum Beispiel Hibernia, sollten aus deren eigener Erzeugung den Strom für die öffentliche Versorgung liefern.
Im Jahr 1906 gründeten einige Städte des mittleren Ruhrgebiets, darunter Bochum und Witten, unter Beteiligung der Bergwerksgesellschaft Hibernia, einiger Berliner Banken und der Allgemeinen Elektrizitäts – Gesellschaft zu Berlin (AEG) die Elektricitätswerk Westfalen Aktiengesellschaft zu Bochum.
[Anmerkung: Einige Quellen benutzen den Buchstaben „c“ im Wort Elektricität, andere das „z“. Gelegentlich wird nur von „Westfalen“ oder „E.W.“ gesprochen. Es ist jeweils die Originalschreibweise der unterschiedlichen Quellen wiedergegeben.]
Im ersten Geschäftsbericht für das Jahr 1906 heißt es:
Elektricitätswerk Westfalen Aktiengesellschaft
Bochum
Geschäftsbericht
für das erste Geschäftsjahr
vom 27. Juni 1906 bis 31. März 1907
Das Elektricitätswerk Westfalen wurde am 27. Juni 1906 mit einem Aktienkapital von 2 000 000 Mk. mit dem Sitze in Bochum gegründet und ist am 28. August 1906 in das Handelsregister des Königlichen Amtsgerichts in Bochum eingetragen worden.
Im Laufe des Geschäftsjahres wurde unser Absatzgebiet durch Konzessions- und Stromlieferverträge mit den Städten Witten, Hattingen, Herne und den Gemeinden Linden, Baukau, Blankenstein, Ostherbede, Westherbede, Winz, Höntrop, Wengern und Bommern erweitert.
2. Versorgung der Gemeinden um Stiepel herum
Im Geschäftsbericht für das Jahr 1906 ist beschrieben, dass das Elektrizitätswerk Westfalen im September 1906 sogenannte Ausschließlichkeitsverträge unter anderem mit den Gemeinden Blankenstein und Hattingen geschlossen hat. Da Stiepel zu dieser Zeit zum Amt Blankenstein / Kreis Hattingen gehörte, dürfte es den Stiepelern Bürgern und Gemeindevertretern nicht entgangen sein, dass in der Nachbarschaft die Elektrizität Einzug gehalten hat.
Aus Sicht des Elektrizitätswerks Westfalen findet sich die technische Begründung dafür, dass der Strom zunächst die Nachbargemeinden erreicht hat, in einer Unterlage aus dem Jahr 1907:
Bochum, den 15. April 1907
Arbeitsplan
Für den ersten Ausbau wurde die Verlegung eines Hauptkabelringes von Herne über Bochum, Laer, Witten, Herbede, Hattingen, Linden, Höntrop, Bochum zurück nach Herne vorgesehen.
Dieses Hauptkabel mit einem Querschnitt von 3 x 70 qmm und einer ungefähren Länge von
55 km erhält zunächst Strom von der Zeche Shamrock I / II. …
Hier wird deutlich, dass zunächst die Gemeinden rings um den heutigen Bochumer Süden mit Elektrizität versorgt wurden. Das Elektrizitätswerk Westfalen dachte aber schon in der Zeit um 1906 / 1907 daran, auch Stiepel zu versorgen. Dies geht aus einem Brief des damaligen Bochumer Landrats Karl Gerstein an den Regierungspräsidenten in Arnsberg hervor:
Bochum, den 31. Oktober 1907
Der Königliche Landrat
Tgb. Nr. E. 104Betrifft: Elektrizitätsversorgung
An den Herrn Regierungspräsidenten zu Arnsberg
Euere Hochwohlgeboren haben mich mündlich beauftragt, darüber zu berichten …
Ich darf zunächst über das jetzige Versorgungsgebiet des Elektrizitätswerks Westfalen folgende Mitteilungen machen.
Das Elektrizitätswerk Westfalen hat Ausschließlichkeitsverträge abgeschlossen mit den Gemeinden.Blankenstein durch Vertrag vom 7. / 9. September 1906
Hattingen durch Vertrag vom 7. September / 1. Oktober 1906
Es schweben weitere Abschlussverhandlungen, welche ebenfalls schon vor längerer Zeit eingeleitet worden sind mit den GemeindenHeven des Landkreises Hattingen
Stiepel
Welpergez. Gerstein
3. Aktivitäten der Gemeindevertretung Stiepel
Die ersten Bestrebungen der Gemeinde Stiepel, die Elektrizität in unseren Ort zu holen, sind in den Sitzungsprotokollen der Gemeindevertretung niedergeschrieben. Neben den oben dokumentierten Gesprächen ab 1906 / 1907 hat man sich offiziell am 28. Januar 1909 das erste Mal mit diesem Thema befasst und auch gleich den entsprechenden Beschluss gefasst:
Der protokollierte Beschluss der Gemeindevertretung:
28. Januar 1909
Die Gemeindevertretung beschloß, sich mit 30.000 M an dem kommunalen Elektrizitätswerk Westfalen zu beteiligen, unter der Bedingung, daß die Gemeinde Stiepel möglichst bald mit Licht und Kraft seitens Westfalen und zu demselben Preise, wie andere Verbandgemeinden erhalten, versorgt wird.
Dieser Beschluss war der seinerzeitigen Hattinger Zeitung, die auch für Stiepel berichtete, unter dem Datum des 30. Januar 1909 folgende kurze Meldung wert:
Stiepel, 30. Januar 1909
Die hiesige Gemeindevertretung beschloß, 20 Aktien des Elektrizitätswerks Westfalen zu erwerben und bewilligte hierfür 30000 Mark.
In den Protokollen der Stiepeler Gemeindevertretung entwickelt sich die Geschichte der Elektrizitätsversorgung dann wie folgt weiter:
6. August 1909
Von dem Stand der Verhandlungen mit dem Elektrizitätswerk Westfalen über die Elektrizitätsversorgung der Gemeinde Stiepel wird Mitteilung gemacht.
4. Mai 1910
Versorgung der Gemeinde mit Elektrizität
Die Frage der Elektrizitätsversorgung wird umfassend erörtert.
Den nächsten Schritt machte dann wieder das Elektrizitätswerk Westfalen. Offensichtlich wollte man das oben beschriebene Ringkabel durch eine direkte Verbindung von Bochum durch Stiepel zum Steinenhaus (an der Kreuzung der Verbindungsstraßen Blankenstein-Herbede und Stiepel-Hammertal) ersetzen. Vermutlich war auch der direkte Anschluss des Bahnhofs Blankenstein ein Ziel. Das Elektrizitätswerk Westfalen musste also auf die Gemeinde Stiepel zugehen und um die Erlaubnis bitten, ein Kabel durch das Gemeindegebiet legen zu dürfen. Dokumentiert ist dies in folgendem Protokoll des Elektrizitätswerk Westfalen:
Protokoll der Sitzung des Technischen Ausschusses von Elektrizitätswerk Westfalen Aktiengesellschaft
zu Bochum am 11. April 1910 nachmittags, 5 Uhr im Geschäftshaus der Allgemeinen Elektrizitäts
– Gesellschaft zu Berlin
Den in Vorbereitung befindlichen Verträgen mit … ,
Abkommen mit der Gemeinde Stiepel … wird zugestimmt.
Der zur Verringerung der Verluste erforderliche Bau einer Hochspannungs-Verbindungskabelstrecke Bochum – Steinen – Haus wird mit einem Betrage von M. 165000.– genehmigt.
Die Protokolle der Stiepeler Gemeindevertretung geben diese Verhandlungen entsprechend wieder:
29. Juni 1910
Lichtversorgung der Gemeinde und Antrag der Elektrizitätswerke Westfalen auf Erlaubnis einer Kabellegung
Die Genehmigung zur Kabellegung auf Gemeindeeigentum kann bis zum Abschluß des Vertrags über die Lichtversorgung der Gemeinde nicht erteilt werden. Ein Vertragsabschluß kann nur dann zustande kommen, wenn Westfalen die Bedingung bezüglich Übernahme der Garantie durch die Gemeinde Stiepel oder sonstiger Schadloshaltung fallen läßt und möglichst alle Gemeindeteile in das Versorgungsgebiet einbezieht.
Die Herren Amtmann Thiel, Vorsteher zur Oven-Krockhaus und Protokollführer Franke sollen mit Westfalen weiter verhandeln.
14. Oktober 1910
Verhandlungen mit dem Elektrizitätswerk Westfalen
Dem E.W. kann die Erlaubnis zu der am 17. Juni beantragten Kabellegung unter der Bedingung erteilt werden, dass E.W. sich zur Zahlung einer jährlichen Anerkennungsgebühr von 1000 M verpflichtet, wenn ein Vertrag zwischen ihm und der Gemeinde nicht zu Stande kommt. Diese Gebühr ermäßigt sich auf 50 M wenn die Gemeinde sich zur Gasversorgung entschließt und fällt ganz weg, wenn ein Konzessionsvertrag mit E.W. getroffen wird.
4. Abschluss des Konzessionsvertrages
Gegen Ende des Jahres 1910 werden sich die Vertragspartner einig und es kommt zur Verhandlung eines Kon-zessionsvertrages zwischen dem Elektrizitätswerk Westfalen und der Gemeinde Stiepel. Für Stiepel verhandelt dabei eine „Lichtversorgungskommission“, bestehend aus einzelnen Mitgliedern der Gemeindevertretung. Schon der Name dieser Kommission verrät, welche Art der Nutzung von Elektrizität hauptsächlich bezweckt wurde. Der Konzessions-vertrag wird letztendlich am 28. Februar / 3. März 1911 unterzeichnet. In den Protokollen der Stiepeler Gemeindevertretung liest sich dies wie folgt:
10. November 1910
Vertragsentwurf betr. Elektrizitätsversorgung
Das Ergebnis der mündlichen Verhandlung der Lichtversorgungskommission mit dem Elektrizitätswerk Westfalen vom 29. Oktober und der Brief des E.W. 4. dsb. Monats werden mitgeteilt.
Wir wollen mit E.W. einen Konzessionsvertrag auf der Grundlage des Welperer Vertrags, wobei §5 wie folgt lauten muß:
Das E.W. ist verpflichtet, allen sich meldenden Konsumenten, soweit sie
a) an der Haupt- und Ruhrstraße, von der Grenze der Gemeinde Weitmar bis zur Besitzung Krunke (Ecke Ruhr- und Steilstraße),
b) an der Dorfstraße von der Ruhrstraße bis zur Kanalstraße,
c) innerhalb einer Entfernung (Luftlinie) von 500 m von den unter a und b bestimmten Straßenzügen gelegen sind, mit elektrischer Energie zu versorgen
Die Lichtversorgungskommission wird zum Vertragsabschluß ermächtigt.
Ein Ausschnitt aus dem Konzessionsvertrag, Quelle: Historisches Konzernarchiv RWE
Übersetzt in die heutigen Straßennamen heißt dies:
a) an der Haupt- und Ruhrstraße, von der Grenze der Gemeinde Weitmar bis zur Besitzung Krunke (Ecke Ruhr- und Steilstraße)
Die Hauptstraße ist der Teil der heutigen Kemnader Straße von Weitmar bis zur Einmündung Hevener Straße, die Ruhrstraße ist die Fortsetzung der Kemnader Straße von dort bis zur Ruhr. Die Steilstraße hat ihren Namen bei der Eingemeindung behalten.
b) an der Dorfstraße von der Ruhrstraße bis zur Kanalstraße,
Die Dorfstraße ist heute die Brockhauser Straße, die Kanalstraße heißt heute An der alten Fähre.
Somit wurden zunächst zwei Straßenzüge mit Elektrizität versorgt, zum einen die Kemnader Straße von Weitmar aus bis zur Ecke Steilstraße. Zum anderen die Brockhauser Straße von der Kemnader Straße bis An der alten Fähre. Damit waren die am dichtesten besiedelten Bereiche versorgt. Das Elektrizitätswerk Westfalen war verpflichtet, die Versorgung in einem Streifen von jeweils 500 m Luftlinie zu beiden Seiten der genannten Straßen anzubieten. Darüber hinaus galten gemäß Konzessionsvertrag folgende Regelungen:
Über die vorgenannten Gebiete hinaus ist das E.W. zur Herstellung von Leitungsanlagen und zur Stromabgabe verpflichtet, wenn auf 3 m Kabelleitungslänge oder 15 m Freileitungsdrahtlänge eine Bruttoeinnahme von Mk. 4,50 im Jahr oder eine jährliche Bruttoeinnahme von mindestens 15% des für die über 500 m hinaus geschehene Leitungsverlegung aufgewendeten Kapitals auf mindestens 5 aufeinanderfolgende Jahre garantiert wird.
Die Hattinger Zeitung schreibt zum Abschluss des Konzessionsvertrags:
Stiepel, 12. April 1911
Einen sehr erfreulichen Schritt haben die Stiepeler Gemeindeväter getan, als sie mit dem Elektrizitätswerk Westfalen den lang ersehnten Vertrag über die Versorgung der Gemeinde mit elektrischem Strom schlossen. Das Hauptkabel ist bereits gelegt und auch die anderen Arbeiten sind soweit vorgeschritten, daß es voraussichtlich nicht lange dauert, bis wir „elektrisch erleuchtet“ sind. Hoffentlich ist man bei der Verteilung der Beleuchtungskörper für die Straße nicht zu sparsam.
Hier nochmal die wesentlichen Ausschnitte des Vertrags:
K o n z e s s i o n s – V e r t r a g.
Zwischen der
Gemeinde S t i e p e l
(nachstehend „Gemeinde“ genannt)
und dem
Elektrizitätswerk Westfalen Aktiengesellschaft
(nachstehend „E.W.“ genannt)
wird folgender Vertrag geschlossen.
§1
Das E.W. verpflichtet sich, in der Gemeinde elektrischen Strom für Licht-, Kraft- und sonstige Zwecke unter den in diesem Vertrage genannten Bedingungen an jedermann abzugeben. Dagegen überträgt die Gemeinde dem E.W. das ausschließliche Recht, in bezw. über den öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen und Brücken ihres Gebietes, soweit sie von dem E.W. mit Elektrizität zu versorgen sind, die zur Fortleitung, Umwandlung und Verteilung der elektrischen Energie erforderlichen Kabel bezw. Leitungen nebst Zubehör zu verlegen.
…
§5
Das E.W. ist verpflichtet, allen sich meldenden Konsumenten, soweit sie
d) an der Haupt- und Ruhrstraße, von der Grenze der Gemeinde Weitmar bis zur Besitzung Krunke (Ecke Ruhr- und Steilstraße),
e) an der Dorfstraße von der Ruhrstraße bis zur Kanalstraße,
f) innerhalb einer Entfernung (Luftlinie) von 500 m von den unter a und b bestimmten Straßenzügen gelegen sind, mit elektrischer Energie zu versorgen
…
Stiepel, den 28.2.1911 Bochum, den 3.3.1911
Der Amtmann Elektrizitätswerk Westfalen Aktiengesellschaft
gez. Thiel gez. Krone gez. Hauswald
Der Gemeindevorsteher
gez. zur Oven Krockhaus
Dass im Jahr 1911 tatsächlich mit der Herstellung von Anschlüssen begonnen wurde, können wir (wenn auch indirekt) einer Notiz über den Diebstahl von Leitungsdrähten dem Linden-Dahlhauser-Tageblatt entnehmen, das neben der Hattinger Zeitung ebenfalls über Stiepel berichtete:
Stiepel, 15. September 1911
Bei einem jugendlichen Angestellten einer auswärtigen Firma fand die Polizei bei einer Haussuchung elektrische Leitungsdrähte, Handwerkszeuge usw, die der junge Mann seiner Firma entwendet haben dürfte.
5. Die Entwicklung im Ortsteil
Wir können davon ausgehen, dass die Stromversorgung in Stiepel Ende 1911, spätestens zu Beginn 1912 tatsächlich aufgenommen wurde. Von den ersten Kontakten mit den Nachbargemeinden in 1906/1907 über die Verhandlung des Konzessionsvertrages und die Verlegung des Hauptkabels in 1911 sind damit rund fünf Jahre vergangen. Ein exaktes Datum für den Beginn der ersten Stromlieferung liegt nicht vor.
Aus den Protokollen der Stiepeler Gemeindevertretung geht hervor, dass im Laufe des Jahres 1912 weitere Nutzungsmöglichkeiten behandelt wurden:
12. März 1912
Gesuch des Pastors Schimmel betr. seine Lichtstromrechnungen
Der Pastor Schimmel wünscht, um in den Genuß des den Gemeinden eingeräumten billigen Lichtstrompreises zu gelangen, daß die Stromrechnungen des Elektrizitätswerks von der politischen Gemeinde vorschußweise gezahlt und dann von ihm erstattet werden.
22. Oktober 1912
6. Beleuchtung der Kosterbrücke
Der nach nochmaliger Verhandlung mit dem Elektrizitätswerk Westfalen aufgestellte Kostenanschlag in Höhe von 2.708,50 M wird angenommen. Die Ein- und Ausschaltung soll beim Wirt Hoffstiepel und, wenn das nicht angängig ist, auf Welperer Seite bei Drenhaus erfolgen. Es muß dafür Sorge getragen werden, daß die Brücke zu der Nachtstunde, wenn die von der Tagschicht heimkehrenden Bergleute die Brücke zu benutzen pflegen, beleuchtet wird.
Wiederum dem Linden-Dahlhauser Tageblatt können wir entnehmen, dass die Stromversorgung auch in Straßen Einzug hielt, die von den ursprünglich versorgten zwei Straßenzügen größeren Abstand hatten:
Stiepel, 12. November 1912
Am Sonntag, den 10. des Monats fand eine Versammlung der Haar- und Lottenstraße in dem Lokal des Wirtes Wilh. Freese statt. Ein Ingenieur des Elektrizitätswerks Westfalen machte Vorschläge über die Versorgung der beiden Straßen mit elektrischem Licht. Wie wir hören, haben sich schon viele Leute zum Anschluß an das Stromnetz bereit erklärt.
Zur Erläuterung: die Haarstraße hat nach der Eingemeindung ihren Namen behalten, aus der Lottenstraße ist nach 1929 die Grimbergstraße geworden. Das Lokal Wilh. Freese lag an der Voßkuhlstraße.
Am 29. August 1924 verhandelt die Gemeindevertretung die Erschließung weiterer Bereiche:
10. Versorgung der Ortsteile Brockhausen und Mailand mit elektrischem Licht
Das Elektrizitätswerk Westfalen hat sich zur Versorgung der Ortsteile Mailand und Brockhausen bereit erklärt.
a) Ortsteil Mailand
1. Das Gesamtprojekt kostet rund 1700 Goldmark. Von diesem Betrage haben die Anlieger sofort 1000 M aufzubringen.
c) Ortsteil Brockhausen
Das Gesamtprojekt kostet 30000 Goldmark. Hiervon trägt das EW 17500 M. Der Restbetrag von 12500 M ist von den Interessenten wie folgt aufzubringen:
sofort zu zahlende bare Zuschüsse:
bei 9 Lichtanschlüssen bis 6 Lampen je 100 M = 900 M
…
Wir fassen hiermit einen zustimmenden Beschluss. Gleichzeitig beschliessen wir auch einer Versorgung der Prinzenstrasse mit elektrischem Licht zuzustimmen und zwar unter denselben Voraussetzungen wie bei der Mailandstrasse.
Im September 1925 hält die Gemeindevertretung unter dem Punkt „Auskunft über den Stand der Erweiterung des Elektrizitätsnetzes“ fest, dass „… die Lichtanlage in Brockhausen mit dem 29.8.1925 fertiggestellt und mit diesem Tage in Betrieb genommen ist.“.
Die ursprüngliche Hoffnung, wie sie in der oben zitierten Hattinger Zeitung im Jahr 1911 ausgedrückt wurde, dass man „bei der Verteilung der Beleuchtungskörper für die Straße nicht zu sparsam“ sei, hat sich nicht so schnell erfüllt. Erst im März 1928 hat die Gemeindevertretung als Verhandlungsergebnis mit dem Elektrizitätswerk Westfalen erreicht, dass die Hauptstraße mit 33 Lampen ausgestattet werden sollte, bis zur Fertigstellung im Oktober 1928 sind daraus 56 geworden. Bereits im November 1928 wurde der Beschluss gefasst, in weiteren Straßen, im Wesentlichen in solchen, die von der Hauptstraße abzweigen, weitere 26 Lampen errichten zu lassen.
6. Die Entwicklung der Elektrizitätswerk Westfalen Aktiengesellschaft
Das Versorgungsgebiet der Elektrizitätswerk Westfalen Aktiengesellschaft erstreckte sich im Jahr 1912 bereits auf das überwiegende Gebiet des Landkreises Hattingen, der heutigen Städte Bochum und Herne, sowie weiter nördlich auf das Gebiet um Recklinghausen bis ins Münsterland. Im Jahr 1911 wurden unter anderem Konzessionsverträge mit den Gemeinden Weitmar und Welper geschlossen.
Der Kartenausschnitt aus dem Jahr 1912 verdeutlicht, dass das Versorgungsgebiet des Elektrizitätswerks Westfalen in den ersten Jahren seit 1906 relativ schnell gewachsen ist. Zunächst hatte es, wie bereits beschrieben, keine eigene Erzeugung, sonder bezog den Strom von zecheneigenen Kraftwerken. Diese Art der Versorgung erwies sich offensichtlich nicht als sicher genug. Im November 1910 schlossen das Elektrizitätswerk Westfalen und die Stadt Barmen einen Vertrag zur Errichtung eines gemeinsamen Kraftwerks in Hattingen. Im November 1912 lieferte das sogenannte Gemeinschaftswerk den ersten selbst erzeugten Strom sowohl für das Versorgungsgebiet des Elektrizitätswerks Westfalen als auch für das der Stadt Barmen.
Über die wachsende Popularität der Stromversorgung schreibt das Elektrizitätswerk Westfalen in einem Geschäftsbericht:
Elektricitätswerk Westfalen Aktiengesellschaft
Bochum
Geschäftsbericht
für das fünfte Geschäftsjahr
vom 1. April 1910 bis 31. März 1911
…
Wir haben im letzten Jahre … auch zahlreiche kleine Verbraucher angeschlossen, denen bisher auf Grund der allgemeinen Tarife die Vorteile elektrischer Beleuchtung noch nicht oder nur in beschränktem Umfange zu teil werden konnten. Wir erblicken darin einen erfreulichen Fortschritt auf dem Wege der Popularisierung der Elektricität. … Der Konsument zahlt vielmehr monatlich eine bestimmte, sich nach der Anzahl und der Kerzenstärke seiner Lampen richtende Pauschalgebühr, benutzt also seine Anlage im Abonnement, … Diese Pauschaltarife haben besonders bei minderbemittelten Abnehmern großen Anklang gefunden. … Wir hoffen aber dadurch mit der Zeit auch den kleinsten Haushalt als Abnehmer für elektrische Energie … zu gewinnen, um den heute noch so außerordentlich hohen Verbrauch an Petroleum, wofür alljährlich Millionen deutschen Geldes ins Ausland wandern, mehr und mehr einschränken zu können.
Der Märkische Sprecher berichtet entsprechend:
Die Elektrizität im Hause, 17. November 1911
Welche Verbreitung die Elektrizität speziell im Versorgungsgebiet des Elektrizitätswerks „Westfalen“ bereits angenommen hat, darüber gibt der letzte Geschäftsbericht des Werkes Aufschluß. Das Werk ist gegründet im Jahre 1906 und hat heute schon ein Kapital von 16 000 000 Mk. investiert. An das ausgedehnte Netz waren bis Ende März d.J.
ca. 120.000 Glühlampen,
ca. 2.000 Bogenlampen,
ca. 1.700 Motore mit zusammen 26.000 PS
angeschlossen.
…
Versorgt werden in den Kreisen Bochum, Gelsenkirchen, Recklinghausen, Hattingen und Hagen die Städte und Landgemeinden …, Blankenstein, …, Stiepel, …, Weitmar, Welper.
Eine „Anmeldung zum Anschluß an das Leitungsnetz des Elektricitätswerks Westfalen“ aus dem Jahr 1916 zeigt, dass es zunächst nur um den Ersatz der üblichen Petroleum- oder Kerzenbeleuchtung durch elektrische Glühbirnen ging. Landwirt Wilhelm Schulte zur Oven meldete am 18. September 1916 eine Gesamtleistung von 250 Watt für den Betrieb von 15 Glühlampen à 16 Watt an. Der Hof Schulte zur Oven (damalige Adresse: Ruhrstraße 12) lag in Stiepel-Dorf zwischen der heutigen Kemnader Straße und der Düsterstraße. Er wurde Ende der 1970er Jahre abgetragen, hinter Haus Kemnade neu aufgebaut und beherbergt dort seitdem das Bauernhausmuseum. Mit den heutigen Ansprüchen an eine elektrische Beleuchtung fällt es schwer sich vorzustellen, wie dieser große Hof mit 15 Glühlampen mit einer Stärke von insgesamt 250 Watt ausgeleuchtet wurde.
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