Zwei Dinge sind untrennbar mit der Kosterstraße und der gleichnamigen Brücke verbunden: Der Bau der Straßenbahnlinie von Weitmar über Stiepel nach Welper gehört zur Geschichte der Kosterstraße, wohingegen die in Hattingen liegende Henrichshütte ursächlich für den Bau einer Brücke über die Ruhr war.
Betrachten wir zunächst die Kosterstraße. Ihr erster, im Jahr 1909 vergebener Straßenname war Finkenstraße, benannt nach dem Finkensiepen, durch den sie führt. Allerdings hatte die Straße, besser gesagt: der Feldweg, zu dieser Zeit noch nicht den Verlauf, den wir heute kennen. Die Siedlung, deren nördlich der Straße liegenden Häuser für den aktuellen Straßenausbau weichen mussten, war noch nicht errichtet, es gab nur vereinzelt liegende Häuser. Diese Häuser waren durch einen jeweils in Privatbesitz befindlichen, seinerzeit sogenannten Interessentenweg miteinander verbunden.
Erste Überlegungen für die Verlängerung der Straßenbahnlinie von Bochum bzw. Weitmar über Stiepel nach Welper lassen sich im Jahr 1911 nachweisen. Zu jener Zeit war die Stiepeler Gemeindevertretung noch der Überzeugung, dass die damalige Brückstraße, heute Am Varenholt „… für den allgemeinen Verkehr allen Anforderungen genügt.“ Auch wenn man sich das heute nicht mehr vorstellen kann, der Varenholt war eine Art Hauptverbindungsstraße und hieß zu jener Zeit nicht umsonst Brückstraße, denn es war die Straße, die zur (Koster-)Brücke führte. Im September 1913 entschloss sich die Stiepeler Gemeindevertretung dann aber im Zusammenhang mit der geplanten Straßenbahn „… einstimmig für einen Ausbau der Finkenstraße. … Von der Führung … über die Brückstraße wird … Abstand genommen, weil die Finkenstraße wesentlich günstigere Steigungsverhältnisse aufweist.“
Nachdem die Planungen rund drei Jahre reiften, fasste die Gemeindevertretung im Juli 1914 den Beschluss zum Neubau von Straße und Straßenbahn. Die Finken-/Kosterstraße war eine sprichwörtlich auf der grünen Wiese neu geplante Straße. Mit den Erdarbeiten wurde Anfang 1914 begonnen, doch der Ausbruch des 1. Weltkriegs brachte das Projekt zum Erliegen. Bereits wenige Tage nach der Generalmobilmachung wurde durch die Stiepeler Gemeindevertretung beschlossen, „… die Wegebauarbeiten in der Gemeinde vorläufig einzuschränken.“ Im März 1915 wurde speziell zur heutigen Kosterstraße festgehalten: „Der durch den Krieg unterbrochene Ausbau der Finkenstraße wird besprochen. Die Gemeindevertretung ist der Ansicht, daß es zweckmäßig sei, mit der Wiederaufnahme der Arbeiten bis zum Kriegsende zu warten.“ Der Ausbau der Straße wurde erst 1922 fortgesetzt.
Die von Bochum über die Markstraße kommende Straßenbahnlinie endete bis 1926 an der Zeche Karl Friedrich, d.h. an der heutigen Kreuzung Kemnader-/Mark-/Heinrich-König-Straße. Die Verlängerung der Linie 5 / 15 über die Kemnader- und Kosterstraße auf der Strecke Zeche Karl-Friedrich – Stiepel Gemeindehaus – Henrichshütte – Hattingen mit einem Abzweig Stiepel Gemeindehaus – Haus Frische wurde im Dezember 1926 eröffnet und sollte für die Stiepeler fast vier Jahrzehnte die Verbindung nach Bochum und Hattingen sein. Einen ersten Rückschlag erfuhr die Linie 1960, als die Kosterbrücke für die schweren Triebwagen der Straßenbahn gesperrt und der Verkehr nach Hattingen durch einen kleinen Bus fortgeführt wurde. Im November 1963 wurde die Linie 5 / 15 komplett eingestellt.
Um nach dem 1. Weltkrieg der aufkommenden Wohnungsnot zu begegnen, errichtete die Gemeinde Stiepel auf einem gemeindeeigenen Grundstück an der Finken-/Kosterstraße in den Jahren 1922 bis 1924 die bereits erwähnte Siedlung. Weitere markante Gebäude sind die ehemalige Ziegendeckstation (heute das Vereinsheim des Bürgerschützenvereins) und die ehemalige Wirtschaft „Stiepeler Hof“ von Gustav Hofstiepel, die 1980 dem Neubau der Kosterbrücke weichen musste. Im Zuge der Eingemeindung von Stiepel nach Bochum im Jahr 1929 wurde die Finkenstraße in Kosterstraße umbenannt. Namensgeber war das Haus „An der Kost“ am Ende der Straße bzw. der Brücke am Welperaner Ruhrufer und die nach diesem Familiennamen benannte Fähre und Kohlenniederlage an der Ruhr.
Als die Straßenbahn ab Dezember 1926 über die neu erstellte Kosterstraße fuhr, hatte die für diesen Zweck ertüchtigte Kosterbrücke bereits eine Jahrzehnte währende Geschichte hinter sich, die mit dem Bau der Henrichshütte auf der Hattinger Ruhrseite 1854 begann. Die Henrichshütte wurde nicht zufällig im Hattinger Raum gegründet. Für die Eisen- und Stahlproduktion war, zumindest in jener Epoche noch, die räumliche Nähe zu den Rohstoffen Kohle und Eisenerz entscheidend. Für die Stiepeler Kohlen- und Eisensteinzechen, die sich zu jener Zeit im Bereich des sog. Rauterdeller Siepens rund um die Straßen Am Bliestollen, Hülsbergstraße und Am Varenholt konzentrierten, war die Henrichshütte der Hauptabnehmer ihrer Abbauprodukte. Für den Transport von dort bis zur Henrichshütte wurde zunächst eine Pferdebahn erstellt. Die Überquerung der Ruhr erfolgte wahrscheinlich bereits ab 1854 über eine provisorische Holzbrücke, zumindest aber eine sogenannte Ponte, die ein reines Betriebsmittel der Henrichshütte und nicht für die Öffentlichkeit zugänglich war. Für die massentaugliche Anlieferung von Kohlen und Eisenstein aus Stiepel wurde aber eine größere Lösung benötigt. Mit Konzessionsvertrag vom 3. Dezember 1860 wurde der Henrichshütte der Bau einer „richtigen“ Brücke gestattet.
Diese (zweite) Brücke wurde überwiegend aus Holz erstellt und war ausschließlich für den Kohlen- und Eisensteintransport zur Henrichshütte gedacht. Im Jahr 1872 wurde die Aktiengesellschaft „Union für Bergbau, Eisen- und Stahlindustrie“ in Dortmund (Dortmunder Union) Eigentümerin der Henrichshütte. Gleichzeitig erwarb diese die mittlerweile zu „Brockhauser Tiefbau“ konsolidierten Stiepeler Zechen. Die nach 1860 fertiggestellte Holzbrücke erlebte dadurch und durch das enorme Wachstum der Henrichshütte in den 1870er Jahren einen regelrechten Boom. Über die Brücke führte eine zweigleisige Schmalspurbahn, die letzte Kohle überquerte die Ruhr im Jahr 1895. Aber nach wie vor war die Brücke im Eigentum der Henrichshütte und durfte -außer bei Hochwasser, wenn die parallel existierende Koster Fähre wegen Hochwasser nicht fuhr- nicht von der Bevölkerung genutzt werden. 1899 wurde die Brücke dann polizeilich geschlossen, weil sie zu verfallen drohte.
Aus Sicht der Gemeinde Stiepel entwickelte sich der Wunsch, diese brachliegende Brücke zu nutzen und die Koster Fähre damit abzulösen. Ab 1905 sind Verhandlungen der kommunalen Stellen mit der neuen Eigentümerin der Henrichshütte, der Maschinenfabrik Henschel & Sohn, dokumentiert. Letztendlich übernimmt die Gemeinde Stiepel in den Jahren 1908 / 1909 die Brücke zum Materialwert und erhält die Konzession zum Bau einer neuen Brücke, verbunden mit dem Recht, Tarife für die Benutzung festzulegen und Brückengeld zu erheben. Das Fährrecht der zumindest seit 1781 bestehenden Koster Fähre wurde den Erben der Familie Schulte-Umberg für 20.000 Mark abgekauft. Die mittlerweile über 40 Jahre im Dienst stehende Holzbrücke wurde 1909 abgerissen, der Bau der (dritten) Kosterbrücke als Eisenbeton-Konstruktion wurde im Wesentlichen von der Gemeinde Stiepel mit drei Anleihen über insgesamt 129.200 Mark finanziert. Am 1. Februar 1910 wurde die Brücke ihrer Bestimmung übergeben.
Um die Baukosten zu decken, wurde von der Gemeinde Stiepel ein Brückengeld erhoben. Es betrug zum Beispiel für Personen 3 Pfennig, für Arbeiter zur oder von der Schicht 2 Pfg., für Großvieh 5 Pfg., für Fuhrwerke zum Fortschaffen von Lasten 25 Pfg. beladen / 20 Pfg. unbeladen pro Zugtier oder für Kraftwagen mit Gummiradreifen 20 Pfg. beladen / 10 Pfg. leer. Das Brückengeld wurde auf Stiepeler Seite von Gastwirt Gustav Hoffstiepel, auf Welperaner Seite von Gastwirt Schulte-Umberg erhoben.
Bevor 1926 der Betrieb der Straßenbahn aufgenommen werden konnte, wurde die Brücke gründlich geprüft. Bedingt durch das hohe Eigengewicht der Straßenbahnwagen mussten vermutlich die Bögen und Strompfeiler verstärkt werden, Details dieser Baumaßnahmen sind aber nicht bekannt. Letztendlich war die Brückenkonstruktion dem Straßenbahnverkehr auf Dauer nicht gewachsen, im Jahr 1960 wurde aufgrund der nicht mehr ausreichenden Tragkraft der Straßenbahnverkehr eingestellt, die Linie 5/15 wurde übergangsweise durch Busse ersetzt, im Jahr 1963 wurde die gesamte Strecke stillgelegt. In den 1960er Jahren begannen daher Planungen für den Bau einer neuen (vierten) Brücke. Deren Entstehungsgeschichte zog sich, genau wie später Planung und Ausbau der Kosterstraße, über Jahrzehnte hin. Die vierspurige Stahlbetonbrücke wurde im Oktober 1980 dem Verkehr übergeben. Das Foto macht den Größenunterschied der 1979 abgerissenen zur jetzigen Brücke deutlich.
Das Eigentum an Kosterstraße und -brücke ging übrigens im Jahr 1927 von der Gemeinde Stiepel auf den Kreis Hattingen über.
Bläser says
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit grossem Interesse habe ich Ihre Dokumentation gelesen.Da ich Jahrgang 1956 bin und aus Hattingen -Welper stamme, bin ich auf der Suche nach Berichten sowie Bildern von der “Kosterbrücke” bei Ihnen fündig geworden.
Vielen Dank für Ihre aussergewöhnliche Leistung hier ein Stück Geschichte aus der Heimat darzustellen.
Ein Tip an dieser Stelle: im Stadtarchiv der Stadt Hattingen müssen sich vor allem noch historische Bilder des Baus der 3.Kosterbrücke befinden.Ich hatte vor ca.25 Jahren Fotos dieser 3.Brücke bei einem Bekannten, der dieses Archiv seinerzeit betreute,gesehenIch kann mich genau erinnern Stahlformen gesehen zu haben, die zur Herstellung der Betonbrückenbögen verwendet wurden.Ausserdem befand sich eine steinerne Wendeltreppe auf Stiepeler Seite an dem Bauwerk.Wie gesagt, es müssten noch Fotos existieren.
Gern würde ich versuchen den damaligen Archivar darauf anzusprechen.Ich kenne ihn als meinen Freund seit meiner Kindheit.
MfG
Frank Michael Bläser