Haus Spitz (seit 1939), vormals Gastwirtschaft Schreier (1875 – 1919) und Gastwirtschaft Wegemann (1919 – 1939)
An der Kemnader Straße 138 in Stiepel-Haar liegt die Gastwirtschaft mit Saalbetrieb „Haus Spitz“. Sie wurde 1875 eröffnet und ist das älteste noch an selber Stelle bestehende Lokal in Stiepel. Erbauer waren der Bäckermeister Gustav Schreier aus Mittelstiepel (heute Gräfin-Imma-Str. 49), Sohn des Bäckers und Gastwirts Johann Heinrich Schreier (1797-1875) und Elisabeth Maria Anna Catharina Wefelscheid gen. Wüstenhof (1807-1879) und seine Ehefrau Juliane geb. Haarmann „vom Gebrannten“ (heute Am Gebrannten 51), Tochter des Metzgers und Gastwirts Heinrich Friedrich Wilhelm Haarmann gen. Kruse (1827-1904) und Maria Margarethe Appelmann (1823-1870).
Das Haus, in zwei Bauabschnitten bis 1876 vollendet, wurde auf einem drei Morgen großen Stück Land des Hofes Haarmann „auf der Haar“ (heute Haarstraße 19) nördlich der Ackerfläche mit Flurnamen „Hogel“ errichtet, von der heute noch das Feld vor dem Zisterzienserkloster übriggeblieben ist. Von vornherein als Gast- und Backstube mit Gesellschaftszimmern geplant, diente die Gastwirtschaft Schreier im Anfang auch für einige Jahre als Wechselstation für Postpferde. Eine bauliche Besonderheit sind die verschiedenen Materialien, die für die Außenwände verwendet wurden. So ist die nördliche Giebelwand aus Ziegel, während die südliche Wand aus Fachwerk besteht und mit bergischem Schiefer belegt ist. Die Seite zur Kemnader Straße mit Ziegel ausgefachtes Fachwerk und die Seite zum Innenhof besteht aus hellem Ruhrsandstein. Neben dem weitgehend erhaltenen Hausflur war diese Mischung einer der Hauptgründe, warum das Haus 2007 von der Stadt Bochum als „erhaltenswertes Gebäude“ eingestuft wurde und eine Plakette bekam. Eine erste Vergrößerung der Anlage fand bis 1880 statt, als ein Anbau aus Ziegel für Stallungen und Kohlenlagerung errichtet wurde. Zum Haus gehörten ein Obsthof, ein 650m² großer Gemüsegarten und 4.800m² Ackerfläche, die zum Unterhalt des Betriebs genutzt wurden.
Aufgrund des Bevölkerungswachstums im Zusammenhang mit dem Bergbau und der fortschreitenden Industrialisierung in der Kaiserzeit benötigte der Norden Stiepels bald neue Versammlungsstätten. Gustav Schreier baute deshalb 1902 einen Saal für zunächst bis zu 400 Personen mit einer Größe von 270m². Der Bau wurde unter anderem durch ein Darlehen des Bochumer Braumeisters Wilhelm Schlegel finanziert. Der neue Saal erhielt kurz darauf einen 60m² großen Bühnenanbau, der später für Veranstaltungen verschiedenster Art genutzt wurde. Darunter befindet sich seit 1977 ein Schießstand mit 10 Metern Schießbahn für Kleinkaliber. Ein neuer Parkplatz auf dem Gelände des alten Obsthofs wurde 1975 angelegt.
Für das Leben der Stiepeler Gemeinde wurde die Gastwirtschaft schnell zu einem örtlichen Zentrum und Identifikationsmerkmal. So wurde der bis 1892 angelegte Damm zwischen der Hülsbergstraße und der heutigen Einmündung der Straße Am Varenholt im Volksmund „Schreiers Damm“ genannt. Hier fuhr ab 1926 die Straßenbahn von Weitmar nach „Frische“ (Linie 5) und „Hofstiepel“ (Linie 15) an der damaligen Koster Brücke. Die nächstgelegenen Haltestellen waren „zur Oven“ auf Höhe des heutigen Kindergartens „Im Haarmannsbusch“ und „Lohfeld“ an der ehemaligen Gaststätte „Westermann“ und der 1910 errichteten Stiepeler Gemeindeverwaltung (Kemnader Str. 199). In Folge der wachsenden evangelischen Kirchengemeinde Stiepel wurde 1911 der Haarbezirk von der Dorfkirche abgespalten. Für 20 Jahre bis zur Fertigstellung des Lutherhauses diente dann zunächst der Saal als Raum für die sonntäglichen Gottesdienste sowie Gemeindefeiern. In jener Zeit machte jedoch auch der politische und gesellschaftliche Wandel vor Stiepel nicht halt. Während des Nationalsozialismus diente die Gastwirtschaft bis zum Ende der 1930er Jahre als Treffpunkt des örtlichen SA-Sturms.
Nach dem Tod Gustav Schreiers ging das Eigentum auf seine Frau über und die Wirtschaft wurde ab 1919 vom Viehhändler, Metzger und Gastwirt Heinrich Albrecht August Wegemann aus Blankenstein, dem Ehemann der ältesten Tochter Ottilie geb. Schreier, weitergeführt. Der „Wegemann’sche Saal“ wurde weiter wie bisher genutzt, doch ging die Wirtschaftskrise der späten 1920er Jahre nicht spurlos an dem Betrieb vorüber. Eine Erkrankung des Wirts Wegemann, die Anstellung des aus Bayern stammenden Wirts und Bierbrauers Kilian Schreiber zwischen 1936 und 1939 sowie wirtschaftliche Schwierigkeiten führten am 26. Juli 1939 zum Verkauf des Anwesens an Heinrich Spitz (1906-1985), Sohn des Bäckers und Bergmanns Wilhelm Spitz und Emma geb. Baak und seine Frau Ida geb. Hilleringmann (1908-1978), Tochter des Landwirts Alex Hilleringmann und Ida geb. Mätte (Pächter auf Hof Kortwig). Heinrich Spitz war zuvor Landwirtschaftsgehilfe auf dem Hof Brüggeney in Stiepel-Brockhausen gewesen, der ebenso wie die Gastwirtschaft „Stiepeler Hof“ (ehem. Brockhauser Str. 289) seinem Onkel, dem Land- und Gastwirt Gustav Hofstiepel (1881-1944) gehörte. Er übernahm den die Gastwirtschaft samt Vorräten, welche auf einer erhaltenen Inventurliste aufgeführt sind. Die nun „Haus Spitz“ getaufte Gastwirtschaft verfügte neben dem Saal über drei Gesellschaftszimmer sowie den Schankraum, wovon ausführliche Skizzen aus der Übergabezeit zeugen.
Im ersten Jahr behob Heinrich Spitz den angefallenen Investitionsstau und installierte neue Sanitäranlagen, besserte diverse Räume aus und erneuerte die nötigen Versicherungen, um erneut als Gast- und Schankwirtschaft sowie für den Saalbetrieb zugelassen zu werden. Dem neuen Start kam dann jedoch der 2. Weltkrieg in den Weg. Nach den ersten Bombardements in dieser Region durch die Alliierten kam es am 31. März 1943 zu einer vom Bochumer Polizeipräsidenten erlassenen Schließung der Gastwirtschaftsbetriebe, um Menschen und sog. kriegswichtiges Material freizusetzen. Spitz protestierte vehement und doch vergeblich gegen die Schließung, u.a. durch Verweis auf die Benutzung der Wirtschaft durch den Knappenverein „Gute Hoffnung“. In Folge wurden im Haupthaus Bombengeschädigte einquartiert (1943-1947), der Saal als Getreide- und Möbellager genutzt und später auch Heimatvertriebene untergebracht. Erst 1948 konnte der geregelte Betrieb wieder aufgenommen werden. Das Haus, abgesehen von einem Blindgängereinschlag auf der südöstlichen Seite, überstand den Krieg unbeschadet. Schnell erlangte Heinrich Spitz von der britischen Verwaltung die nötigen Unterlagen und Konzessionen. Darunter war 1949 auch eine Singspielkonzession, die angesichts des Mangels an geeigneten, unzerstörten Räumen für Kulturveranstaltungen sehr wertvoll war.
Im Laufe der Jahre war „Haus Spitz“ Heimat vieler Vereine und Veranstaltungen. Bis Mitte der 1950er Jahre fanden sonntags Boxkämpfe des „Boxring 48“ im Saal statt – Löcher für die Ringpfosten sind auf der Bühne bis heute vorhanden. Seit 1955 tritt die „Volksbühne Bochum“ (vormals „Kornblume“) mit Theaterstücken auf, wobei früher auch Operetten gegeben wurden. Der Geflügelzuchtverein „Phönix Stiepel“ stellte im Saal aus und der Gesangsverein „Gut Klang“ gab hier Konzerte. Zudem dient „Haus Spitz“ als Vereinslokal der Kompanien Brockhausen (seit 1977) und Mittelstiepel (seit 2015) des Bürgerschützenvereins Stiepel. Früher traf sich hier auch der Taubenverein „Rumplertaube “. Neben der Volksbühne richtet der Verein Preziosa Stiepel seit 1981 Karnevalsfeiern aus, die zuvor der Schäferhundeverein zusammen mit der Ruhrlandbühne organisierte.
Im Aufschwung der Nachkriegszeit erholte sich das Gaststättengewerbe und „Haus Spitz“ entwickelte sich als Vereinssitz und Bühne prächtig. Mit daran beteiligt waren seit der Kaiserzeit Mitglieder der Familie Kost, so später Günter Schmidt (1927-2015) und seine Frau Brunhilde geb. Kost (1925-1999), die neben Tätigkeiten im Bergbau und der Schwerindustrie über Jahrzehnte den Betrieb unterstützten sowie Haus und Garten pflegten.
Nach 28 Jahren als Wirt verpachtete Heinrich Spitz die Wirtschaft ab 1967 der Reihe nach an die Pächter Schmidtke, Pape und zuletzt Horst Meißner. Das Ehepaar Meißner betrieb in den 1980er Jahren neben Saal und Gastwirtschaft auch eine Kaffeestube in einem ehemaligen Gesellschaftszimmer im Erdgeschoss.
Heinrich Spitz‘ Ehefrau Ida verstarb, ohne dass das Ehepaar Kinder gehabt hatte und so fiel „Haus Spitz“ nach seinem Tod im Jahr 1985 an seinen Neffen 2. Grades Gustav Hoffstiepel. Nach weiteren Verpachtungen an die Familien Meißner und Cramer übernahm 1999 Bettina Hoffstiepel den Betrieb. Seitdem hat sich vieles geändert. So wurden Saal und Wirtschaft modernisiert, der Bühnenraum samt Technik auf den neusten Stand gebracht und neue Veranstaltungsformate eingeführt. Seit 2016 besitzt die Gastronomie einen gemütlichen Biergarten im Innenhof rund um den 1987 errichteten Brunnen, der nach wie vor zur Bewässerung des Anwesens genutzt wird. Heute, 142 Jahre nach der Eröffnung, steht Haus Spitz wie nur noch wenige andere Gastwirtschaften für den Wandel, den unsere Region in dieser Zeit erlebt hat.
Text: Maximilian Willner
Heide Günther geb Stollmann says
Hallo an Ida und Heinrich Spitz habe ich viele schöne Kindheitserinnerungen.Wir gingen immer zum Fernsehen (Frankenfeld oder Boxen) in die Gaststätte Spitz. Für uns Kinder gab es eine Sinalco und einen Strammen Max von Ida gemacht.Es war immer ein großes Erlebnis. Meine Eltern Nora und Erwin Stollmann verkehrten viel bei Spitz.