Das Haus an der heutigen Kemnader Straße 251 (an der Bushaltestelle Gräfin-Imma-Straße in Richtung Stadt) ist mit zwei Dingen untrennbar verbunden: zum einen ist die historische Unterscheidung von zwei gegenüber wohnenden Brüdern in „Becker links“ und „Becker rechts“ bis heute geläufig, zum anderen steht das Haus für die Geschichte der ersten katholischen Schule in Stiepel.
Erbaut wurde das Haus im Jahr 1863 von Heinrich Bernhard Becker (*1830) und seiner Ehefrau Wilhelmine, geb. Stollmann (*1837). Zu jener Zeit war die Stiepeler Bevölkerung nahezu ausschließlich evangelisch, die katholische Minderheit wurde betreut von der Kirchengemeinde Blankenstein. Beim Bau des Hauses wurde in der ersten Etage neben einem kleinen Saal, der zur Gastwirtschaft gehörte, ein weiterer als „Schulsaal“ bezeichneter Raum vorgesehen. Im Oktober 1866 nahm dort die aus Blankenstein betreute katholische Schule ihren Unterricht mit immerhin 42 Kindern auf. Darüber hinaus wurde im Haus eine Wohnung für den Lehrer angemietet. Allerdings schien die Kombination von Schule und Gastwirtschaft in ein und demselben Gebäude nicht die Zustimmung aller zu finden. In einer Kirchenzeitschrift des Jahres 1872 wird erläutert, warum über den Bau eines eigenen Schulgebäudes nachgedacht wird: „ … die in letzterer Zeit in diesem Hause betriebene Schenkwirthschaft Vorkommnisse und Eventualitäten gar unerquicklicher Natur hervorgerufen hat, so daß die Beschaffung eines anderweitigen Schullocals im Interesse der guten Sache unumgänglich nothwendig erscheint.“ Bereits 1869 wurde durch die katholische Kirchengemeinde Blankenstein ein anderes Grundstück an der heutigen Kemnader Straße 248 gekauft, ab Oktober 1872 wechselt die katholische Schule dorthin. Allerdings nur für drei Jahre, dann wird die Schule wieder geschlossen, die mittlerweile 49 katholischen Kinder werden auf die übrigen evangelischen Schulen in Stiepel und die katholischen Schulen in Blankenstein und Wiemelhausen verteilt.
Die bereits genannten Erbauer des Hauses, die Eheleute Heinrich Bernhard und Wilhelmine Becker, waren die ersten Wirte der Gastwirtschaft „Unter den Linden“. Ungewöhnlich war zu jener Zeit, dass Heinrich Bernhard Becker nur mit dem Beruf „Wirt“ als Haupterwerb nachzuweisen ist. Denn überwiegend wurden Gastwirtschaften als Nebenerwerb betrieben. Er verstarb im Jahr 1895, ein Jahr zuvor wurde die Konzession auf seinen Sohn Heinrich Becker junior übertragen. Dieser wiederum hatte den für die meisten Stiepeler Männer zu jener Zeit üblichen Beruf des Bergmanns.
Das ursprünglich rund 13.500 m² große Grundstück lag zu beiden Seiten der Kemnader Straße. Bereits zu Lebzeiten des Seniors wurde es unter zwei Söhnen (von insgesamt 12 Kindern) aufgeteilt. Heinrich junior (*1856), der die Wirtschaft 1894 übernahm, bekam das Haus mit dem größeren Teil des Grundstücks, der jüngere Bruder Gustav (*1857) einen kleineren Teil südlich der Kemnader Straße, auf dem er ein neues Haus errichtete, heute das Haus Kemnader Straße 258. Im Volksmund haben sich zur Unterscheidung der beiden Brüder bzw. der beiden Häuser die Bezeichnungen „Becker links“ für die Wirtschaft und „Becker rechts“ für das neue Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite etabliert. Im Jahr 1890 inspiziert der damalige Ortsvorsteher Sondermann im Zusammenhang mit dem Übergang der Konzession auf Heinrich Becker junior die Wirtschaft und hält unter anderem fest: „ … das Haus bekleidet einen Namen Beckerlings …“. Den Rechtschreibfehler im Wort „links“ geben wir wie im Originaltext wieder. Offensichtlich gab es keinen eigenen Namen für die Gastwirtschaft, wenn der Gemeindevorsteher einen solchen mit keinem Wort erwähnt, sondern die offensichtlich bereits etablierte Bezeichnung „Becker links“ verwendet.
In dritter Generation übernahm Ewald Becker (*1883) die Gastwirtschaft. Das genaue Jahr lässt sich nicht mehr ermitteln, bekannt ist aber, dass er als Haupterwerb das Bäckerhandwerk ausübte und im Jahr 1906 im Keller eine Backstube samt Backofen errichtete. Eine Gartenwirtschaft, deren Fläche auch heute noch rechts vom Haus zu erkennen ist, gehörte mit dazu. Als Pionier fiel Ewald Becker im Januar 1917 im 1. Weltkrieg, beigesetzt wurde er fernab der Heimat auf dem Garnisonsfriedhof Berlin. Fortan wurden Gastwirtschaft und Bäckerei von seiner Frau Klara, geborene Kogelheide (*1883) unter der Bezeichnung „Witwe Ewald Becker“ fortgeführt. Im Jahr 1936 wurde die Gastwirtschaft verkleinert, der Saal im Obergeschoss wurde in eine Wohnung umgebaut. In der Zeit des Nationalsozialismus war das Büro des NSDAP-Ortsgruppenleiters im Haus untergebracht. Überliefert ist, dass im Erdgeschoss in der linken Hälfte das Parteibüro war, in der rechten Hälfte die Gastwirtschaft.
In vierter Generation hat Else Becker (*1911), verheiratet mit dem Knappschaftsbeamten Hugo Stollmann (*1899), die Wirtschaft bis Ende der 1950er Jahre fortgeführt. Dann wurde die Wirtschaft in eine Wohnung umgebaut, in der später wiederum eine Arztpraxis eingerichtet wurde. Else Stollmann hat jedoch weiterhin in einem kleinen Raum im Erdgeschoss ihre alte „Stammkundschaft“ durch den Verkauf von Flaschenbier weiter bewirtet.
O. WITELD says
Danke für diesen interessanten Beitrag und die wirklich gute und umfangreiche Recherche über diese Zeit.